Hallo liebe Kollegen,
Giovanni64 hat es vorgemacht wie ein anständiger Abschied aussieht und deshalb will ich das jetzt auch nachholen.
Meine CRF 1000 L Bj 2017, EZ 2018 in Tricolor ohne DCT habe ich im Frühjahr verkauft, nach ziemlich genau einem Jahr und 7500 zurückgelegten Kilometern. Beim Verkauf sah sie aus wie neu, drangebaut hatte ich den Hauptständer, einen H/B Kofferträger, Topcase, Tankrucksack, sehr preiswert angebotene Sturzbügel die vollständig mit denen von SW-Motech angebotenen identisch waren, Oxford Heizgriffe, eine Bordsteckdose, verstellbare Fußrasten Ion von SW-Motech, zusätzlich die hohe Sitzbank der Adventure Sports und zwei weiteren Scheiben von MRA, eine niedrige Sportscheibe und die hohe mit dem verstellbaren Spoiler namens Vario Touring. Da ich den ganzen Krempel sowie die AT selbst zu sehr attraktiven Konditionen gekauft hatte hielt sich mein finanzieller Verlust in Grenzen, lediglich viele Stunden Arbeit sind eingeflossen die man natürlich nicht in Rechnung stellen kann. Zum Verkaufszeitpunkt waren die serienmäßigen Dunlops sowie die Jahresinspektion fällig - die neuen Reifen sollte sich der Käufer aber selbst aussuchen können und deshalb investierte ich nichts mehr.
Die AT war mein 38. Motorrad während meiner bisher 47-jährigen Motorradfahrerkarriere, wenn man die Maschinen meiner Frau und die meiner Kinder mitrechnet, die ich ja alle selbst ausgesucht, gekauft und gewartet bzw. repariert habe.
Wie kam ich zu der AT? Wie die zuvor genannten Zahlen schon aussagen, war ich in Punkto Motorrad schon immer etwas verrückt und wollte alles ausprobieren. Praktisch jedes Jahr hatten wir irgend etwas anderes. Permanent beobachte ich den Markt und wenn ich ein ganz besonders interessantes Angebot unter den Gebrauchten sehe fällt es mir schwer, die Gelegenheit nicht gleich vor Ort zu begutachten. Obwohl ich eigentlich gar kein neues oder zusätzliches Motorrad brauche! Meist wird dann aus den verschiedensten Gründen auch nichts daraus, irgendein Grund dann doch kein Geld auszugeben finde ich fast immer. Meistens. Manchmal erliege ich aber der Faszination und dem Kaufzwang. So geschah es mit der AT: Nachdem sich herausgestellt hatte dass meine 06er 1000er V-Strom auf kleinsten Sträßchen oder gar Schotter nicht ganz so spielerisch zu handeln war schaute ich nach einem Nachfolger mit etwa der gleichen Leistung aber besserer Geländeeignung. Da ich nur ungern unplanmäßige bzw. unnötige Schrauberarbeit erledigen will bin ich schon immer gut mit Japanern gefahren und möchte auch dabei bleiben. Was dann überhaupt noch in die engere Auswahl kommen konnte hieß alles Africa Twin. War auch irgendwie reizvoll, weil ich schon 1991 und 1992 mit meiner 750er RD04 in den Alpen viel erlebt habe und mich deren Konzept und Zuverlässigkeit überzeugt hatte. Leider spiegelten die Gebrauchtpreise die Wertschätzung der CRF in der Fachwelt und beim Kunden 1:1 wieder, ein Schnäppchen war da nicht zu machen. Eines morgens aber im Januar 2019 entdeckte ich die Anzeigen eines Händlers, der am späten Abend zuvor drei 2017er Modelle zu einem Traumpreis ins Netz gestellt hatte, alle ohne Kilometer aber mit Händlerzulassung. Die 1100er stand in den Startlöchern! Ich griff um 08:00 Uhr zum Telefon und ließ mir eine reservieren. Noch am gleichen Tag unterschrieb ich den Kaufvertrag. Im März habe ich sie dann abgeholt. Auch wenn sie für eine CRF 1000 konkurrenzlos preiswert war, soviel Geld hatte ich noch nie für ein Motorrad ausgegeben.
Und das war eigentlich schon die Hypothek, die unser Zusammenleben überschattete. Inspektionen selbst durchzuführen ist ja meine (Motorrad-) Lebensphilosophie, ich will
a) Geld sparen,
b) alles unter Kontrolle haben und
c) meine Maschine dabei kennenlernen und Wissen dazugewinnen.
Aber das sollte man während der Garantiezeit tunlichst bleiben lassen... und dann wurden mir die strengen Vorgaben erst richtig bewusst: Jahresinspektion! Damit sichern sich die Händler die Auslastung ihrer Werkstätten trotz geringer Fahrleistung der Kunden. Mein Nachbar, beruflich sehr eingespannt fährt mit seiner 1190er Adventure jedes Jahr lediglich zur Jahresinspektion beim KTM-Händler und alle zwei Jahre zum TÜV... das war´s schon.
Mein Hondahändler zeigte jedenfalls kein Verständnis für ein Aufschieben der Jahresinspektion, er wollte diese noch unbedingt vor der Winterpause machen (was ein Blödsinn ist weil die neue Bremsflüssigkeit dann gleich mit überwintern darf) und drohte sofort mit dem Verlust der Garantie. Obendrauf setzte er noch die Bemerkung dass Honda irgendeine Lichtmaschine sogar 7 Jahre nach Garantieende auf Kulanz ersetzt habe weil der Kunde immer brav zu den vorgeschrieben Inspektionsterminen angetanzt ist... Da war bei mir alles aus. Jetzt brachte mich diese Maschine in einen Konflikt: Möglichst bald alles selbst machen und damit horrende Reparaturkosten riskieren oder jahrelang regelmäßig Geld zum Freundlichen tragen, von der umständlichen Terminplanung mal
abgesehen. Ein teures Motorrad kann eine Last sein. Irgendwie hatte ich mich bei meinen vielen günstig erstandenen Gebrauchtmaschinen zuvor wohler gefühlt!
Den Ausschlag gaben dann noch meine Bastelarbeiten, bei denen u.a. der Tank runter musste damit ich Leitungen verlegen konnte. Was war das für ein Act! Noch nie hatte sich bei einem meiner Motorräder dieser Vorgang so umständlich gestaltet, und auch beim Wiedereinbau hatte ich wohl zwei Hände zu wenig. Und was sich darunter meinem Blick an Komplexität offenbarte ließ mein Schrauberherz bis in die Hose rutschen. Ich dachte, die Ventile eines Reihenmotors wären leichter zugänglich als die eines V-Aggregats wie z.B. an meinen beiden V-Stroms. Weit gefehlt kann ich nur sagen, kein Wunder dass die 24.000er Inspektion mit etwa 1200 € zu buche schlägt. Auch das bisher erste ABS unter meinen Maschinen verunsicherte mich durch die schiere Anzahl der Leitungen, und wie soll ich da ohne Steuerprogramm auf dem Laptop einen vorschriftsmäßigen Bremsflüssigkeitswechsel durchführen? Und die Luftfilter: kaum zugänglich, die Gehäuse zudem noch verklebt, offensichtlich gegen Saharastaub abgedichtet.
Die ganze Konstruktion erschien mir extrem wartungsunfreundlich. Mit keinem meiner bisherigen Motorräder hatte ich weniger gern eine technische Panne in Afrika erlebt als mit dieser Africa Twin! Schon allein die Zugänglichkeit der Batterie und des Bordwerkzeugs ließ tief blicken: alles hatte sich der Optimierung der Fahrdynamik unterzuordnen. OK, damit konnte man die Tester überzeugen. Auch ich muss zugeben, dass ich noch nie eine so angenehm zu pilotierende Maschine in dieser Leistungsklasse hatte. Komfortable und durchaus geländetaugliche Federelemente, aber dennoch stabiles Fahrverhalten bei jeder Geschwindigkeit. Verbrauch top, zwei Liter weniger als meine 06er 1000er V-Strom. Wenn auch längst nicht mit deren brutalen Durchzug von ganz unten gesegnet. Dafür laufruhiger und mit viel besserem Sound. Gut gemacht, Honda!
Was aber noch genervt hat war die vertauschte Position von Blinker und Hupe, wer gleichzeitig noch andere Motorräder nutzt weiß was ich meine. Außerdem hatte ich noch nie ein so schlecht ablesbares Display gesehen. Für die Drehzahlanzeige hätte ich eine Lesebrille aufsetzen müssen und der ganze Rest wurde spätestens dann unsichtbar, wenn die Sonne schien...
Die Africa Twin habe ich in Erinnerung als eine tolle Reiseenduro die auch wirkliches Gelände kann und dennoch einen Riesenspaß als reines Straßenmotorrad garantiert. Wahrscheinlich spiegelt sie auch die sprichwörtliche Honda-Zuverlässigkeit wieder, sie wird als eine der wenigen sogar im Stammland gebaut was ein Qualitätsversprechen darstellt. Aber man muss die Bereitschaft aufbringen, der Werkstatt jede anfallende Arbeit oder Inspektion zu überlassen, für einen begeisterten Hobbyschrauber ist sie je nach dessen Qualifikation entweder eine Herausforderung oder sogar eine Zumutung.
Ich habe 2020 mit einem starken Einzylinder, der ein SECHSTEL des Anschaffungspreises der AT gekostet hat und als Garagenfahrzeug mit 15.000 km praktisch wie neu vor mir stand, zu meiner alten Zufriedenheit zurück gefunden. An dem kann ich alles, aber auch wirklich alles selbst schrauben und fühle mich damit auf den Schotterpfaden im Friaul recht gut aufgehoben. Hätte ich die AT im Gelände abgelegt wären allein die Teile wahrscheinlich in einer ähnlichen Preisregion angesiedelt wie mein kompletter Einzylinder...
Lediglich die Qualität des zugehörigen Forums kann mit Euch hier überhaupt nicht mithalten. Die Mitgliedschaft hier werde ich aber nicht kündigen. Wer weiß, was alles meine Garage in der Zukunft noch erwartet...
Viel Spaß noch Euch allen und immer unfallfrei Fahrt!
wünscht Euch Robert
PS: Einige Videos mit der AT, ihren Vorgängern und Nachfolgern
findet ihr hier: